Abschnitt 8 – Die Prüfung
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Alles oder Nichts
Es ist Zeit für Helden!

Die Prüfung ist der Punkt, an dem Helden gemacht werden. Hier stellt sich der Held auf symblischer Ebene dem Tod. Andere könnten an dieser Stelle leicht scheitern. Doch siegt der Held, erwartet ihn neue Kraft, eine regelrechte Transformation. Zuvor aber muss er diesen Test bestehen, der uns als Publikum der Geschichte so sehr fasziniert und in Atem hält. Nie leiden wir stärker mit unserem Favoriten mit. Weil dieser Abschnitt so symbolisch aufgeladen ist, ist er besonders erklärungsbedürftig.

Die symbolische Begegnung mit dem Tod

Im Zentrum der außergewöhnlichen Welt, am tiefsten Punkt der innersten Höhle, angelangt, begegnet der Held seinem furchterregendesten Gegner. Dies ist der Augenblick jener Prüfung, die er bestehen muss, um seine wahre Kraft zu finden.

Der Held begegnet bildlich gesprochen dem Tod. Er muss sich stellen und ihm ins Auge blicken. Wer oder was ist der Tod? Er ist die größte Angst des Helden. Er ist das Ende einer engen Beziehung. Er ist ein sterbender Freund. Das Scheitern eines Traums. Oder auch der ganz gewöhnliche, eigene Tod, der dem Helden im Kampf droht.

Zentral ist, dass eines dieser oder ähnlicher Dinge, die allesamt eng mit dem Helden verbunden sind, sterben muss. Etwas altes muss weichen, damit etwas neues entstehen kann. Aus Verlust und Schmerz entsteht neue Kraft. Stellt sich der Held einer großen Angst, stirbt beispielsweise der Teil von ihm, der diese Sache als so furchterregend gesehen hat. Die Prüfung führt zur Transformation. Sie „macht“ den Helden.

In Harry Potter und der Stein der Weisen erleben wir eine Reihe symbolischer Tode. Überdeutlich haben wir verschiedene Kammern mit Prüfungen. Harry, Ron und Hermine müssen ihre Freundschaft beweisen. Sie müssen bereit sein, sich selbst zu opfern, zum Wohl der Gemeinschaft. Hermine und Ron müssen zurückbleiben, damit Harry vordringen kann. Und er selbst muss dem Spiegel beweisen, dass er mit dem Stein nur gute Absichten hat.

Ein Wechselbad der Gefühle

Weil sie so eng mit dem Tod verbunden ist, ist die Prüfung automatisch ein sehr emotionaler Moment. Die Lage mag zunächst unendlich schwer und aussichtslos erscheinen, Scheitern und Verderben scheinen nahe. Doch schon wenig später schlägt das Pendel auf die Seite eines kolossalen Triumphs aus. Die Gaben des Mentors können sich an diesem Punkt als entscheidende Hilfen erweisen.

Am deutlichsten ist diese Phase, wenn sie uns als tatsächlicher Kampf gegen einen Gegner präsentiert wird. Dabei hat der Gegner immer auch eine psychologische Funktion. Er steht als Sinnbild für eine negative Seite des Helden, die sterben muss, zum Beispiel für die Angst davor, sich gegen scheinbar stärkere zu behaupten.

Natürlich kann die Prüfung aber auch als rein innere Krise und ohne Kampf ausgestaltet sein. Etwa dann, wenn der Held sich einer verschlossenen und verdrängten Seite seiner Vergangenheit stellen muss. Ein emotionaler Konflikt also, den er lösen muss, um mit dieser einen Seite seiner Persönlichkeit wieder in Kontakt zu kommen, damit er als Person wieder ausbalanciert und vollständig sein kann.

Prüfung ungleich Klimax!

Es braucht also keinen körperlichen Tod, sondern immer nur einen symbolischen, damit die Transformation gelingen kann. Frodos Prüfung ist es, den Kampf gegen die Verlockungen des Rings zu bestehen und die Freundschaft zu Sam zu bewahren. Genau denselben Kampf sehen wir im Übrigen noch deutlicher an Gollum mit seiner zwiegespaltenen Persönlichkeit.

Dieses Beispiel zeigt gleichzeitig auch einen wichtigen Aspekt: Die Prüfung ist noch nicht der Punkt, an dem der zentrale Konflikt der Geschichte gelöst wird. Sie ist der Punkt der Transformation des Helden, nicht der, an dem sich alle Probleme auflösen.

Wir sind hier also nicht am Punkt der höchsten Spannung, sondern an der Stelle, an der die gegnerischen Mächte am stärksten sind. Der Spannungsbogen fällt also nicht ab, sobald der Held seine neue Kraft erhalten hat. Wir wollen schließlich wissen, ob sie ihm auch hilft, die gestörte alltägliche Welt tatsächlich wieder in Ordnung zu bringen – weshalb er ja überhaupt erst in diese Lage gekommen ist. Kann Sauron besiegt und der Krieg beendet werden? Kann Voldemort tatsächlich besiegt werden?

Alle 12 Stationen der Heldenreise

Buchtipp:

  • Autor: Christopher Vogler
  • Titel: The Writer’s Journey
  • Seiten: 300
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Die Heldenreise (hero’s journey) ist ein bekanntes Erzählschema. Der Begriff wurde geprägt von Joseph Campbell, der in seinem Buch The Hero with a thousand faces das Muster von Heldengeschichten aus verschiedenen Kulturen und Zeiten untersuchte. Christopher Vogler machte das Schema später im Bereich der Drehbuchschreiber populär. Das spannende am Schema der Heldenreise ist, dass man es tatsächlich überall wiederentdecken kann. Vor allemin Geschichten, die das größte Publikum haben, scheint es stark präsent zu sein, etwa in Star Wars, Harry Potter oder Der Herr der Ringe.

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