Eric-Emmanuel Schmitt – Adolf H. Zwei Leben
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Es ist mal wieder Zeit für etwas Alternative History. In diese Kategorie fällt nämlich der Roman Adolf H. Zwei Leben vom französischen Autor Eric-Emmanuel Schmitt. Wie auch Stephen Fry in Geschichte Machen geht es auch hier um die Frage, wie das 20. Jahrhundert gelaufen wäre, hätte Adolf Hitlers Leben an bestimmten Stellen eine andere Abzweigung genommen. Anders als Fry will Schmitt den Führer aber nicht gleich töten. Ganz im Gegenteil: Er gönnt ihm den Erfolg, den er vielleicht immer wollte.

Der Inhalt: Adolf Hitler – Maler statt Führer?

In jedem Leben gibt es Entscheidungen, die alles verändern. Der griechische Held Herakles beispielsweise stand in der Sage am Scheideweg zwischen Luxus und Mühe. Auch im Leben von Adolf Hitler gab es mindestens eine Stelle, an der alles hätte anders laufen können.

Was wäre gewesen, wenn – die Grundfrage jeder alternative history ist auch bei diesem Roman die Basis. Was wäre gewesen, wäre Hitler von der Wiener Kunstakademie aufgenommen worden? Wäre er trotzdem zum Führer geworden? Oder würden wir Hitler heute als begnadeten Maler des 20. Jahrhunderts kennen?

„Adolf Hitler: Durchgefallen.“
Das Verdikt fiel herab wie ein Stahllineal auf eine Kinderhand.
„Adolf Hitler: durchgefallen.“
Eiserner Vorhang. Vorbei. Bei uns nicht mehr. Steht woanders weiter. Draußen

Eric-Emmanuel Schmitt – Adolf H. Zwei Leben

„Adolf H.: bestanden.“
Eine Hitzewelle durchlief den jungen Mann. In ihm wogte das Glück, es pulste in seinen Schläfen, rauschte in seinen Ohren, weitete ihm die Lungen und wühlte sein Herz auf.

Eric-Emmanuel Schmitt – Adolf H. Zwei Leben

Eric-Emmanuel Schmitt stellt in Adolf H. Zwei Leben genau diese beiden Szenarien gegenüber. Auf der einen Seite haben wir den Diktator Adolf Hitler, der Energie aus dem Hass auf andere zieht und rücksichtslos dem folgt, was er für Ideale hält. Auf der anderen Seite steht mit Adolf H. ein weltberühmter Künstler und Pazifist, in dessen Leben Frauen eine wichtige Rolle spielen.

Es sind zwei Leben, in denen vieles ähnlich abläuft, aber komplett unterschiedliche Folgen hat: Beide verlieren im Ersten Weltkrieg einen treuen Freund, ziehen daraus aber völlig verschiedene Konsequenzen. Beide haben Angst vor Frauen und Sex, doch nur einer von beiden überwindet sie. Beide erobern Paris, der eine mit Soldaten, der andere mit seiner Kunst.

So deutlich wie die Parallelen sind auch die Unterschiede: Hitler zehrt von Angst und Hass, von sich selbst hat er das Bild des überlegenen Übermenschen. Adolf H. hat viele Freunde, Bewunderer und Erfolg, doch er selbst zweifelt sein Leben lang an seinen Fähigkeiten als Maler.

Was wäre gewesen, wenn?

Meine Meinung: Hitlerwitze gehen immer – trotz manch banaler Stellen

Ob man über Hitler lachen darf oder nicht, diese Frage stellt sich zum Glück heutzutage nicht mehr. Natürlich darf man. Jetzt muss nur noch der Witz ein guter sein. Ist er das in diesem Fall?

Ich würde sagen: Im Großen und Ganzen ja, absolut. Aber wie ihr an dieser Antwort schon seht, gibt es leichte Einschränkungen.

Keine Sekunde wäre er auf die Idee gekommen, er wäre vom Bösen besessen.
Am 20. Dezember 1924 überbrachte ihm der Direktor des Gefängnisses die Nachricht von seiner Freilassung auf Bewährung, damit wurden ihm vier Jahre Haft erlassen.
Was, schon? Wie schade! dachte Hitler. Ich hätte mein Buch beinahe geschafft.

Eric-Emmanuel Schmitt – Adolf H. Zwei Leben

Was ich definitiv sagen kann, ist, dass das Buch durch und durch komisch ist. Es lässt sich in einem Rutsch von vorne bis hinten lesen und unterhält dabei bestens, ohne dass es zu größeren Längen kommt. Der Erzähler blickt mit ausreichend Distanz auf seine Figuren, um sie nicht komplett ernst nehmen zu müssen. Was Hitler und Adolf H. passiert, kann er in amüsantem Licht darstellen. Besonders die Zeit in Wien steckt bei beiden Figuren voller herrlicher Momente.

Wo liegt nun mein Kritikpunkt? Interessanterweise quasi an der selben Stelle wie das, das ich gerade gelobt habe.

Im Klartext: Besonders der Hitler-Handlungsstrang hatte gerade in der „prägenden“ Phase des jungen Hitler zu viele Stellen, die mir etwas platt waren. Nicht nur einmal dienen hier einzelne Erlebnisse für eine teils radikale Veränderung von Hitlers Einstellung einer bestimmten Gruppe gegenüber, die dann den Rest des Lebens sein Handeln bestimmt. Zu bestimmen, wie sehr das an der Realität orientiert ist, überlasse ich Historikern, aber als Literatur war mir das einfach zu offensichtlich.

Französischer vs. Deutscher Titel: La Part de l’autre

Hier wir allerdings ein Blick auf den französischen Titel nötig: Dieser hat nämlich mit der deutschen Übersetzung nichts zu tun.

Auf französisch heißt das Buch Le part de l’autre. Zu Deutsch: Der Anteil der Anderen. Und wenn wir nun das nehmen, was ich gerade eben kritisiert habe, nämlich dass mir einzelne Ereignisse teils zu großen Einfluss haben, dann zeigt der Titel, dass genau das vom Autor absolut gewollt ist.

„Was? Sie haben keinen Adolf H.? Ich habe drei im Salon!“
„In Paris spricht man von niemand anderem mehr als von diesem Adolf H.“
„Sogar die Rothschilds haben neulich schon eine Abendveranstaltung ihm zu Ehren gegeben.“
„So wie nächstens auch die Weils.“
„Ja, er ist der Maler, der en vouge ist.“
„Er ist mehr als eine Mode, denn die Mode kommt und geht. Er aber, er hat Stil.“

Eric-Emmanuel Schmitt – Adolf H. Zwei Leben

Welchen Anteil hatten die Anderen denn eventuell daran, wie Hitlers Leben verlaufen ist? Was wäre gewesen, hätten sie ihn an der Kunstakademie angenommen? Was wäre gewesen, hätte er andere Erlebnisse mit Frauen gehabt? Was, wenn er als verarmter Arbeitsloser in Wien andere Leute getroffen hätte?

Den Einfluss anderer auf das eigene Leben hervorzuheben ist also die Grundidee des Buches. Ich bleibe trotzdem dabei, dass mir das teilweise zu plump und zu wenig subtil umgesetzt ist. Man könnte nun argumentieren, dass das jegliche Eigenverantwortung abschiebt, aber das wäre nun wieder eine ganz andere Frage.

Sicher festhalten kann ich eines: Die deutsche Übersetzung nimmt dem Buch einen essenziellen Teil seiner Aussage, nur damit der doofe deutsche Durchschnitts-Buchkäufer mit einem Hitler im Titel gelockt werden kann. Für deutsche Buchverlage und ihr Marketing leider typisch.

Der Autor: Eric-Emmanuel Schmitt

Eric-Emmanuel Schmitt (© Georges Biard, Wikicommons)

Eric-Emmanuel Schmitt (*1960) ist ein französischer Autor. Er studierte Klavier und Philosophie. Zunächst wurde er mit Theaterstücken bekannt, später aber auch mit mehreren seiner Romane.

Schmitts Werke wurden in über 40 Sprachen übersetzt und mehrere Millionen Mal verkauft. Damit zählt er zu den erfolgreichsten Autoren der Gegenwart in Frankreich. Häufige Bestandteile seiner Werke sind zum Beispiel alternative-history-Szenarien oder Religion.

Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):

  • Das Evangelium nach Pilatus
  • Oscar und die Dame in Rosa

  • Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Daten und Links zum Buch

  • Titel: Adolf H. Zwei Leben
  • Autor: Eric-Emmanuel Schmitt
  • Originaltitel: La Part de l’autre
  • Jahr: 2001
  • Verlag: Fischer
  • Seiten: 512
  • Übersetzer: Klaus Laabs
  • Gewicht: 385 g
  • ISBN: 9783596184576

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