Fjodor Dostojewski – Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
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Es ist nicht ganz einfach, diesen Beitrag zu schreiben, denn dieses Buch ist vielschichtig und ich möchte nicht behaupten, dass ich ihm schon angemessen Genüge tun kann. Aufzeichnungen aus dem Kellerloch ist eine Charakterstudie mit einer psychologischen Tiefe, die sich wahrscheinlich erst dann vollständig entfaltet, wenn man den Text mehrmals gelesen hat.
Ich will trotzdem mein Bestes versuchen, wenn ich dieses Buch nun hier vorstelle.

Die Aufzeichnungen aus dem Kellerloch sind zweigeteilt. Zunächst folgen wir dem Monolog eines namenlosen Erzählers, des „Kellerlochmenschen“.
Im zweiten Teil schließlich sinniert dieser Kellerlochmensch über Ereignisse seiner Vergangenheit, die sein Wesen, das sich im Monolog offenbart hat, wiederspiegeln.

Gedanken im Kellerloch

Was am Kellerlochmenschen sichtbar wird, ist die Fähigkeit des Menschen, in der eigenen Misere zu versumpfen. Der Kellerlochmensch ist bösartig, er ist voller Verbitterung und Hass, auch – und vor allem – sich selbst gegenüber. Er ist zu feige und zu charakterlos, um sich gegen sein Leiden zu erheben, nein, er genießt es sogar und zieht aus seinem Leid – und dem anderer – sogar oft Befriedigung.
Durch sein Verhalten sorgt er selbst dafür, dass sich seine Situation nicht bessert und niemals bessern kann. Im Zweifelsfall erniedrigt der Kellerlochmensch sich selbst.

Was wir am Kellerlochmenschen sehen, ist die scheinbar irrationale Fähigkeit des Menschen, entgegen dem zu handeln, wovon man klar weiß, dass es gut ist und Fortschritt bedeuten würde, einfach nur aus Prinzip und um zu zeigen, dass man sich nicht von seiner Umgebung zu einer Entscheidung zwingen lässt. Das Vernünftige und Gute wird aus Missgunst, Selbstsucht und Bösartigkeit geopfert.
Dostojewski legt hier seinen Finger tief in die Schwachstelle einer jeder Utopie.

Der komplette Text, besonders der Monolog des ersten Teils ist rhetorisch überragend. Bereits der Beginn ist ein Geniestreich und gehört in Sachen Atmosphäre zu den stärksten Anfängen, die ich bisher gelesen habe. (Laut gelesen verstärkt sich die Wirkung noch mehr.)

Ich bin ein kranker Mensch …. Ich bin ein böser Mensch. Ein abstoßender Mensch bin ich. Ich glaube, meine Leber ist krank. Übrigens habe ich keinen blassen Dunst von meiner Krankheit und weiß gar nicht mit Sicherheit, was an mir krank ist. Für meine Gesundheit tue ich nichts und habe auch nie etwas dafür getan, obwohl ich vor der Medizin und den Ärzten alle Achtung habe. Zudem bin ich noch äußerst abergläubisch, so weit z.B., daß ich vor der Medizin alle Achtung habe. (Ich bin gebildet genug, um nicht abergläubisch zu sein, aber ich bin abergläubisch.) Nein, meine Herrschaften, wenn ich für meine Gesundheit nichts tue, so geschieht das nur aus Bosheit. Sie werden sicher nicht geneigt sein, das zu verstehen. Nun, meine Herrschaften, ich verstehe es aber.

Fjodor Dostojewski – Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Ein rückgratloser Selbstzerstörer

Im zweiten Teil werden Ereignisse aus der Vergangenheit des Kellerlochmenschen erzählt. Immer wieder will er seine Gleichrangigkeit zu anderen beweisen, etwa dann, wenn er auf alte Schulkameraden trifft, die – im Gegensatz zu ihm – etwas aus sich gemacht haben.

Er wäre gerne gleichrangig, ist es aber nicht. Also versucht er, die anderen herunterzuziehen und sie schlechtzumachen. Das, was der Kellerlochmensch als besser erkennt, will er zerstören. Doch jedes Mal er scheitert krachend daran und erniedrigt sich am Ende stets selbst. Auch wenn es um Rache geht, ist er kaum fähig, seine Wünsche in Ergebnisse umzusetzen, denn dann hätte er (gefühlte) Gerechtigkeit oder etwas anderes Gutes geschaffen und seine Situation verbessert. Doch er suhlt sich weiter in seinem Leid und der Überzeugung die Welt wäre gegen ihn. Sein Elend wird umso sichtbarer.

Der Kellerlochmensch ist mutlos und charakterlos. Er hat nicht genug Rückgrat, das anzustreben und zu erreichen, was er als gut erkennt. Der Kellerlochmensch sabotiert sich selbst, denn viel wichtiger als alles andere ist es für ihn, als Individuum anerkannt und respektiert zu werden. Bekommt er dies nicht, dann strebt er verbittert nach Rache und Zerstörung, wie irrational auch immer dieser Wunsch sein mag.

Ein Mensch sich seiner eigenen Erbärmlichkeit so sehr bewusst ist und dabei seine Neigung, aus Rache immer das Schlechte anzustreben, anerkennt, der kann sich gar nicht selbst achten und so erfährt er weder von sich selbst, noch von anderen, die Achtung, nach der ihn dürstet.

Auch die Prostituierte Lisa, die ihm ihre Träume von besseren Zeiten erzählt, hält er letztendlich im Leid gefangen. Er quält sie mit seinen Worten, macht ihr ihre miserable Lage klar. Doch auch hier steht am Ende die Realisierung, wie sehr er selbst in Elend feststeckt und dass es sein Ziel war, sie zu erniedrigen, um sich selbst besser zu fühlen.

Nicht nur, daß ich es nicht fertigbrachte, böse zu werden, ich brachte es nicht einmal fertig, überhaupt etwas zu werden

Fjodor Dostojewski – Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

Der Autor: Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski (1821 – 1881) war ein russischer Autor. Wenige Jahre nachdem er sich entschlossen hatte, Schriftsteller zu werden, wurde er wegen seiner Nähe zu sozialistischen Strömungen zu Gefängnis und Zwangsdienst beim Militär verurteilt.

Dostojewski wurde viele Jahre von hohen Schulden geplagt, unter anderem wegen seiner Neigung zum Glücksspiel. Er lebte hauptsächlich in St. Petersburg, unternahm aber auch Reisen nach Westeuropa. Im Lauf seines Lebens machte ihm vor allem seine Epilepsie immer mehr zu schaffen. Häufige Themen seiner Werke sind politische und soziale Fragen, vor allem eine Analyse der Psyche des Menschen.

Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):

  • Schuld und Sühne (Verbrechen und Strafe)
  • Die Brüder Karamasov

Daten und Links zum Buch

  • Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
  • Autor: Fjodor Dostojewski
  • Originaltitel: Записки из подполья
  • Jahr: 1864
  • Verlag: Fischer
  • Seiten: 111
  • Übersetzerin: Swetlana Geier
  • Gewicht: 168 g
  • ISBN: 9783596901029

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Was ich zuletzt noch positiv hervorheben möchte, das ist die Übersetzung von Swetlana Geier. Die Sprache ist modern und wunderbar flüssig, man merkt dem Buch sein Alter nie an. Der Erzählton scheint mir sehr gut getroffen. Denen, die sich für das Buch interessieren, kann ich nur zu einer Ausgabe von dieser Übersetzerin raten.

Kommentare

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  1. Ich finde die Darstellung des Buches sehr gelungen, insbesondere die Anmerkung zum Anfang des Buches. Auch mich zog er sehr an. Im Laufe des Lesens jedoch wurde es mir etwas zu schwergewichtig, denn ohne absolute Konzentration, sollte bzw. kann man es vermutlich nicht gewinnbringend lesen. Wenn auch ein kleines Werk, brauchte ich reichlich Zeit, um es zum Ende zu bringen.

    Noch einige Anmerkungen, die lediglich einen Hinweis darauf geben wollen, die Angabe zur Person einen Haus zu verallgemeinernd sein könnten.

    Sein Glücksspiel brachte Dostojewski auch in finanzielle Bedrängnis. Im Wesen jedoch war es sein Unwille und seine Unfähigkeit mit Geld angemessen umzugehen. Immer wieder scheint mir zu weitgreifend formuliert, greift dieser Umstand doch lediglich auf einen begrenzten Lebenszeitraum.

    Von vielen Reisen ins Ausland kann bei 3 Reisen, abgesehen von reinen Kuraufenthalten in Deutschland, eher nicht die Rede sein.

    Mit gesundheitlichen Problemen musste sich Dostojewski zeitlebens herumschlagen, z. B. seiner Epilepsie.

    • Hallo Klaus,

      ganz großen Dank für deinen Input! Wie es aussieht, hast du dich im Detail mit Dostojewski als Person beschäftigt. Ich habe das nicht, das gebe ich offen zu. Von daher bin ich froh, dass du mich auf die Ungenauigkeiten aufmerksam gemacht hast, die mein Versuch enthält, wichtige Key Facts in zwei Absätze zu stecken.

      Wer sich tiefer mit Dostojewski beschäftigen will, den kann man wohl guten Gewissens auf deine Seite verweisen.

      Umso mehr freut es mich, dass meine Gedanken zum Buch dem Kennerblick standhalten 😉

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