Fremdsprachige Klassiker: Wie findet man die beste Übersetzung?
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Die Suche nach dem heiligen Gral

Photo by Annie Spratt on Unsplash

Wer wie ich gerne fremdsprachige Klassiker liest, der steht sehr oft vor der Frage, zu welcher Version man denn nun greifen soll. Manche Texte, wie zum Beispiel Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray gibt es in unzähligen Varianten. Doch welche ist nur eine billig hingerotzte Version, die einem Verlag etwas zusätzlichen Absatz schaffen soll und welche Version taugt etwas? Man will ja letztendlich ein angenehm lesbares Buch.
In diesem Beitrag zeige ich euch meinen Ansatz, wie ich versuche, die bestmögliche Übersetzung fremdsprachiger Klassiker zu finden.

Das Problem mit den Übersetzungen

Wer hofft, dass es für Übersetzungen eine praktische Datenbank gibt, den kann ich hier schon enttäuschen. Gibt es natürlich nicht. Der Buchhandel ist ein unübersichtliches Gebilde und das zeigt sich auch in dieser Kategorie. Man muss sich schon selbst auf die Suche begeben.

Auch Übersetzungen haben ein Urheberrecht. Es kommt bei Verlagen also durchaus vor, dass eine gemeinfreie Übersetzung genommen und abgedruckt wird, weil man so sein Verlagsprogramm leicht mit bekannten Büchern schmücken kann und dabei noch eine Menge Geld spart.

Dem ein oder anderen Leser mag das egal sein, doch ich bevorzuge es immer, eine deutsche Version in zeitgemäßer Sprache zu haben, die sich angenehm lesen lässt und nicht nach 19. Jahrhundert riecht.
Dazu entwickelt sich auch die Übersetzerkunst weiter fort. Früher haben Übersetzer oft noch sehr viel freier (und auch unsauberer) als heute gearbeitet und stilistisch stärker eingegriffen. Heute versucht man, sich so stark wie möglich am Autor und dessen Eigenheiten zu orientieren, um dem Original so viel wie möglich zu entsprechen – nur eben in einer anderen Sprache.
Es lohnt sich also, die Mühe auf sich zu nehmen und nicht einfach zur ersten x-beliebigen Version zu greifen.

Wie also findet man eine vernünftige Übersetzung?

5 Ansätze, die beste Übersetzung zu finden

1. Wikipedia

Meine erste Anlaufstelle ist in der Regel tatsächlich Wikipedia. Bei vielen Büchern findet man am Ende des Artikels eine Liste mit deutschen Ausgaben. Doch leider ist Wikipedia natürlich nicht perfekt. Manchmal ist eine solche Liste gar nicht vorhanden, manchmal ist sie unvollständig, manchmal fehlen die Jahreszahlen der Übersetzungen. Einschätzungen zur Qualität der Ausgabe gibt es auch hier nicht.
Dennoch finde ich auf Wikipedia meistens schon das, was ich suche.

Beispiel für die Recherche von Übersetzungen auf Wikipedia

2. Das Verzeichnis lieferbarer Bücher

Beispiel für die Recherche von Übersetzungen über das VLB

Eine weitere Möglichkeit ist es, auf buchhandel.de das Verzeichnis lieferbarer Bücher zu durchsuchen.
Doch wie der Name schon sagt, gibt es hier einen großen Nachteil: Es sind nur aktuell lieferbare Bücher vertreten, viele ältere Ausgaben, die z.B. gebraucht noch leicht erhältlich wären, fehlen.

Dazu kann man sich bei den Suchergebnissen nicht auch direkt die Übersetzer anzeigen lassen, man muss auf die jeweilige Einzelanzeige klicken und hat somit insgesamt viel Friemelei.
Informationen über die Qualität einer Übersetzung gibt es sowieso nicht.
Keine allzu überzeugende Methode also.

3. Amazon

Eine Anlaufstelle, die ich auch immer gerne benutze, ist Amazon. Amazon hat den Vorteil, dass auch etliche alte, nur noch gebrauchte Ausgaben gelistet sind.
Der Nachteil ist freilich, dass man hier nur sehr begrenzt Informationen über die Qualität einer Übersetzung erhält. Klar, man kann die Rezensionen nach dem Stichwort „Übersetzung“ durchsuchen, manchmal findet man damit auch brauchbare Informationen, die Regel ist es allerdings nicht.

Beispiel für die Recherche von Übersetzungen auf Amazon

4. isbn.de

Noch eine Möglichkeit wäre die Suche auf isbn.de. Die Seite ist ein inoffizielles Portal für Bücher, eBooks und Hörbücher, die eine ISBN-Nummer tragen. Für Recherchezwecke allgemein sehr nützlich, für den Zweck, nach Übersetzungen zu suchen, allerdings nur begrenzt, denn auch hier muss man viel klicken.
Praktisch ist hier aber, dass man in den meisten Fällen rudimentäre Angaben zum Übersetzer, wie z.B. das Geburtsjahr findet. So kann man zumindest annähernd das ungefähre Alter einer Übersetzung recherchieren und altbackene Versionen vermeiden.

Beispiel für die Recherche von Übersetzungen auf isbn.de
Beispiel für die Recherche von Übersetzungen auf isbn.de

5. Google

Und am Ende bleibt da natürlich noch Google. Manchmal findet man mit einer simplen Suche nach „<buchtitel> Neuübersetzung“ den ein oder anderen Artikel, der Infos oder sogar eine Rezension zu einer aktuellen Ausgabe liefert. Leider führt aber mindestens die Hälfte der Links immer zu irgendwelchen Shops. Als zusätzliche Anlaufstelle aber trotzdem ok.

Fazit: Es gibt viel Verbesserungspotential

Die Übersicht zeigt: Die Situation ist für den Leser ziemlich unbefriedigend. Wer Informationen zu verfügbaren Klassikerübersetzungen und dann dazu auch noch zur Qualität dieser Übersetzungen sucht, der muss bereit sein, Zeit zu investieren. Sollte sich der Buchhandel mirakulöser Weise entschließen, hier irgendwann einmal eine Datenbank anzubieten, ich würde einen Luftsprung machen.

Glücklicherweise wird die Suche mit der Zeit wenigstens leichter, dann nämlich, wenn man die Namen der Übersetzer wiedererkennt. Wenn ich sehe, dass z.B. Lutz-W. Wolff, Andreas Nohl oder Swetlana Geier einen Klassiker übersetzt haben, dann weiß ich, dass ich hier problemlos zugreifen kann. Immerhin.

Kommentare

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  1. „Alte“ Übersetzungen haben den Vorteil, dass sie ohne sich zu verbiegen, einfach durch die zeitliche Nähe, eine stimmungsvolle Parallele zum Sprachzustand der Ausgangssprache bieten. Das sollte man nicht gering schätzen. Moderne Übersetzer können noch so sehr Werktreue anstreben, ihnen gelingt oft nichtmal die Annäherung an eine „gefühlte Zeittreue“. Und viel mehr zu erwarten habe ich mir sowieso abgewöhnt. Eine gelungene Übersetzung ist eine gelungenes Kunstwerk in einer neuen Sprache, das sich inhaltlich an die Ausgangssprache anlehnt.

  2. Lieber Florian,

    ein interessanter Artikel und spannend zu sehen, wie Du bei der Auswahl der Übersetzung vorgehst. Für mich entscheidend ist auch der Verlag. Die Hanser-Bücher sind meist hervorragend, da sie zumeist neu übersetzt sind und da meist sehr darauf geachtet wird, möglichst nahe am Original zu bleiben. Die alten Manesse Bücher habe ich in der Hinsicht auch immer als sehr gut empfunden. Bei Low-Budget Klassiker wie vom Anaconda bzw. Nikol Verlag bekommt man oft eher ältere Übersetzungen. Ich mag aber gerade ältere Übersetzungen ganz gerne, weil sie eine etwas altbackene Sprache haben, die sich schon immer sehr angenehm liest und noch mehr Authentizität versprüht. Aktuell lese ich ein Buch von Jules Verne von 1936 und das ist schon großes Kino (neben der Frakturschrift). Da wäre eine neue Übersetzung weitaus näher an dem Original von Verne, dürfte aber von Aufmachung und Sprache wesentlich weniger stimmungsvoll sein.

    Insgesamt bin ich da aber ziemlich entspannt. Ich fand auch die viel gescholtene Krege Übersetzung von „Der Hobbit“ sehr schön zu lesen. Ich habe auch wirklich sehr viele Bücher von Balzac gelesen, aktuell neu übersetzte und auch sehr alte Übersetzungen. Balzacs Art zu schreiben, seine Stimme, die hört man einfach durch, sein Stil ist nicht zu verkennen und nachdem ich auch da Übersetzungen aus gutem Hause gewählt habe, konnte ich da keine Unterschiede feststellen. Wenn man sich die Anmerkungen von der Übersetzerin Elisabeth Edl in Madame Bovary so durchliest, dann sind das auch häufig echte Feinheiten (z.B. welche Bezeichnung für einen gefällten Baum gewählt wurden).

    Wie ist das für Dich, hast Du schon Übersetzungen gehabt, die Du als ganz schlecht empfunden hast? Und ist es tatsächlich so, dass Du ältere Übersetzungen als eher unangenehm empfindest? Gerade bei Abenteuerromanen finde ich die alten Bücher einfach klasse.

    Liebe Grüße und herzlichen Dank für den hervorragenden Beitrag
    Tobi

    • Servus Tobi,

      schön, hier wieder von dir zu lesen. Und auch danke für deinen Blickwinkel. Bei den Low Budget Verlagen hast du recht, die brauchen nachtürlich meistens rechtefreie, ergo ältere, Versionen.

      Aus dem Stehgreif kann ich kein konkretes Beispiel nennen, aber ich habe definitiv schon einige miese Übersetzungen in den Händen gehabt. Solche zum Beispiel, bei denen man klar gemerkt hat, dass im Vergleich zum Original Dinge verloren gehen, oder wenn etwa Namen aus völlig unerklärlichen Gründen eingedeutscht wurden.
      Besonders in den 50ern und 60ern wurde ja oft unprofessionell gearbeitet. Ich habe mal von einem Beispiel gehört, bei dem eine Personenbeschreibung von gut einer Seite einfach in einem kurzen Satz „übersetzt“ wurde. Grauenhaft!

      Dass man grundsätzlich alle äktern Übersetzungen schlecht findet, kann man natürlich nicht sagen. Es gibt auch da recht gelungene. Das hat mMn auch damit zu tun, wie viele Freiheiten sich der Übersetzer genommen hat. Wenn im Deutschen endlos lange Wurstsätze herauskommen, wie sie früher von bestimmten Kreisen so gerne gebastelt wurden, dann ist das oft unangenehm zu lesen. Ich mag meine Texte locker, flockig. Einen locker lesbaren, dennoch niveauvollen Stil zu beherrschen, bekommt als Kunstform viel zu wenig Anerkennung.

      Dein Kommentar erinnert mich übrigens daran, dass ich diesen Beitrag schon ewig mal aktualiseren wollte 😀

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