Guy de Maupassant – Bel-Ami
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Wäre Guy de Maupassants Roman Bel-Ami ein Selbsthilfebuch, würde der Titel Der charmante Machiavelli oder ähnlich lauten – und natürlich wäre das Buch höchst umstritten. Was die Geschichte nämlich vorwärts treibt, das ist der Ehrgeiz, reich und geachtet zu werden. Und wie erreicht man das? Nicht indem man über besondere Fähigkeiten oder Bildung verfügt. Nein! Es braucht Charme im Umgang mit den Damen der High Society und Beziehungen zu und mit den richtigen Frauen. Zumindest für George Duroy funktioniert dieses Muster ganz wunderbar.

Der Inhalt: Nach oben! Mit Charme aber ohne Rücksicht

George Duroy hat nach seiner Laufbahn beim Militär nichts aus sich gemacht. Knapp bei Kasse lebt er in Paris, als er seinen alten Kameraden Forestier trifft. Der hat es zum geachteten Redakteur gebracht und kann sich ein Leben leisten wie es Duroy gerne hätte.

Glücklicherweise beschafft Forestier Duroy aus Verbundenheit heraus einen Job bei seiner Zeitung. Das Problem ist nur, dass selbigem jedes Talent zum Schreiben fehlt. Muss man aber als Reporter auch gar nicht können, jedenfalls nicht wenn man eine Frau wie Madeleine Forestier hat. Die Gute ist ein Naturtalent und schreibt seit langem die Artikel ihres Gatten. Auch Duroy hilft sie gerne.

Für Duroy ist die Bekanntschaft mit den Forestiers der Beginn eines steilen Aufstiegs. Er lernt Personen aus den hohen Kreisen der Gesellschaft kennen. Sein großer Bonus ist sein natürlicher Charme – ganz besonders in Bezug auf die Damenwelt, die ihm reihenweise verfällt. Bald hat er den Spitznamen „Bel-Ami“ aufgedrückt. Madeleines Freundin Madame de Marelle wird bald zu seiner Geliebten.

Sag mal, alter Knabe, ist dir überhaupt klar, wie sehr du bei den Frauen ankommst? Hör zu, das mußt du ausnützen. Das kann dich noch weit bringen.

Guy de Maupassant – Bel-Ami

Duroy nutzt dieses Talent ohne Gewissensbisse für seinen persönlichen Weg nach oben. Bei Forestier dagegen geht es abwärts. Seine Gesundheit verschlechtert sich immer mehr. Für Duroy ist das gar nicht mal so ungünstig, denn so werden ein guter Job und eine noch bessere Ehefrau frei.

Am Ziel ist er damit aber noch lange nicht. Der Namenswechsel von Duroy zum adelig aussehenden Du Roy ist nur der nächste Schritt. George will Anerkennung, er will jemand sein und zwar so viel wie möglich. Was er dafür tun muss und wen er dafür benutzen muss, der Zweck heiligt die Mittel.

Und weil es für jede Karrierestufe die richtige Frau gibt, die es einfacher macht, diese Stufe zu erklimmen, bleibt Madeleine Forestier natürlich nicht die letzte Beziehung seines Lebens. Wo wir gerade bei ihr sind: Woher hat sie eigentlich all die politischen Insiderinformationen für ihre Artikel?

Ach! Der Lump! Der hat uns vielleicht an der Nase herumgeführt … Aber das eine muß man ihm wirklich lassen: Das ist ein ganz Starker! Wir hätten zwar einen Schwiegersohn mit mehr Geld und mit einem glanzvolleren Namen kriegen können, aber keinen intelligenteren und keinen, der eine steilere Karriere machen würde als den. Dem gehört die Zukunft! Der wird noch mal Abgeordneter und Minister.

Guy de Maupassant – Bel-Ami

Was mir neu war: Den Begriff Bel-Ami finden wir als Eintrag im Duden. Definiert als „Frauenliebling“ lautet der Hinweis zur Herkunft dort: „französisch bel ami = schöner Freund (nach der Titelgestalt eines Romans von Maupassant)

Ein Hauptmotiv: Sein und oberflächlicher Schein

Schon auf der ersten Seite macht uns Maupassant deutlich klar, was ein Hauptmotiv des Romans ist: Sein und Schein. Wir lernen Duroy kennen als eine Person, die kein Soldat mehr ist, sich nach außen aber immer noch so präsentiert. In diesem Moment ist er ein Niemand und seine Taschen sind leer, doch nach Außen hat er Wirkung.

Da es so seine Art und auch, als ehemaliger Unteroffizier, seine Angewohnheit war, überall selbstbewußt aufzutreten, war er sich in die Brust, fuhr sich mit der Routine des Soldaten über den Schnurrbart und ließ seinen Blick in der für gutaussehende Junggesellen typischen Art, zu schauen wie Falken, die auf Beute lauern, blitzschnell über die noch mit dem Essen beschäftigten Gäste kreisen.
Die Frauen blickten zu ihm auf, drei kleine Arbeiterinnen, eine […] Musiklehrerin […] sowie zwei Bürgersfrauen samt den dazugehörigen Ehemännern […].

Guy de Maupassant – Bel-Ami

Schon auf der ersten halben Seite haben wir die Essenz dieser Figur: Kein Geld, Ehrgeiz, Selbstbewusstsein, Außenwirkung und natürlich das Interesse der Frauen. Hut ab vor Maupassant, eine Figur so kompakt und doch so deutlich zu zeichnen ist großes Kino.

Eine andere Stelle, an der der Roman sich darüber witzig macht, wie oberflächlich die Pariser High Society ist, finden wir als Duroy sich etabliert hat. Denn irgendwann ändert er seinen Namen von Duroy in Du Roy. Das sieht nobel aus und beeindruckt die Leute.

Am deutlichsten aber wird der Kontrast zwischen Sein und Schein als unser Held zusammen mit seiner Frau seine alten Eltern in einem Dorf auf dem Land besucht. Die sind arme Bauern, führen eine kleine Wirtschaft und sind von einem Leben voller Arbeit gezeichnet. George fällt es leicht, sich wieder an seine Herkunft anzupassen, doch seine Frau ist als Städterin aus der Oberschicht komplett fehl am Platz.

Sie war enttäuscht, völlig deprimiert. Warum? Sie war es gewesen, die unbedingt hatte kommen wollen. Daß sie zu Bauern fahren würde, armseligen Bauern, war ihr nicht unbekannt gewesen. […] Woher also kam es nur, daß diese Leute sie mit tausend unsichtbaren Kleinigkeiten, mit tausend unfaßbaren Plumpheiten, allein schon mit ihrem derben ländlichen Wesen, mit allem was sie sagten, wie sie sich bewegten, selbst mit der ihnen eigenen Fröhlichkeit zutiefst schockierten?

Guy de Maupassant – Bel-Ami

In Bel-Ami treffen Welten aufeinander.

Mein Fazit: Die unterhaltsame Geschichte eines Charmeurs

Ich kann diesen Roman gar nicht genug loben. Dass er fast 150 Jahre auf dem Buckel hat, merkt man ihm höchstens inhaltlich an, nicht aber der Sprache. Bel-Ami liest sich so locker als hätten wir einen modernen Unterhaltungsroman in der Hand.

Maupassant zählt zu den Meistern, die eine Geschichte so erzählen können, dass man sie einfach „nur“ als Unterhaltung genießen kann, dass man aber auch vieles darin entdecken kann – wenn man das denn will. Uns auf jeder Seite entgegenzuschreien: „Schau her, ich mach‘ hier Literatur, ganz ernst mit Moral und so“, das hat ein Maupassant nicht nötig.

George Duroy ist nicht unbedingt eine sympathische Figur, denn in seinem Ehrgeiz ist er skrupellos und egoistisch. Dass die Frauen ihm reihenweise verfallen, nutzt er ohne zu zögern aus. Doch genau deshalb, eben weil er immer nach vorne prescht und dabei das Risiko nicht scheut, ist auch die Geschichte so unterhaltsam. Höhen und Tiefen wechseln sich ab und wie es bei einem Charmeur, einem echten Blender, eben sein muss, gehört eine Prise Witz immer mit dazu.

Sollten Sie jemals Witwe werden, so bitte ich Sie ergebenst, mich in die Liste der Nachfolgekandidaten aufzunehmen.

Guy de Maupassant – Bel-Ami

Der Autor: Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant (Quelle: Wikimedia)

Guy de Maupassant (1850 – 1893) war ein französischer Autor. Er konzentrierte sich vor allem auf erzählende Texte und schrieb über 300 Novellen. Obwohl er großen Erfolg hatte und von vielen anderen Autoren positiv gesehen wurde, betrachtete ihn die Kritik lange negativ. Er sei zu zugänglich.

Der Erfolg seiner Erzählungen tat ihm nicht gut. Ein Mix aus Syphilis, Drogen und psychischen Problemen führte zu einem frühen Tod. Häufige Bestandteile seiner Werke sind Pessimismus, Schicksalsbestimmtheit, amoralisches Handeln im Eigeninteresse und sämtliche Schichten der französischen Gesellschaft.

Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):

  • Ein Menschenleben
  • Der Schmuck

Daten und Links zum Buch

  • Titel: Bel-Ami
  • Autor: Guy de Maupassant
  • Originaltitel: Bel-Ami
  • Jahr: 1885
  • Verlag: dtv
  • Seiten: 416
  • Übersetzer: Hermann Lindner
  • Gewicht: 347 g
  • ISBN: 9783423140102

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