Der bekannteste unter den Romanen von John Steinbeck ist Die Straße der Ölsardinen mit Sicherheit nicht. Bei mir jedenfalls flog das Buch bisher immer unter dem Radar. Dass ich es nun gelesen habe, liegt vor allem daran, dass ich die illustrierte Ausgabe der Büchergilde Gutenberg in die Hand bekommen habe. Besonders reizvoll fand ich die Prämisse zunächst nicht, doch Steinbeck hat als Autor ein gewisses Grundvertrauen als Bonus. Und das ist gut so, denn die Entscheidung für den Roman hat sich schnell als gute Wahl herausgestellt.
Inhalt: Ein Fest für Doc – oder um einfach nur ein Fest zu haben
Monterey ist ein kleines Städtchen in Kalifornien. Wir haben die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Eckpfeiler von Montery sind Doras Bordell, der Kramerladen von Lee Chong, das Labor von Doc und „das Palace“, eigentlich nur eine alte Bude, die von Mack und seinen Kumpels bewohnt wird.
Cannery Row ist die Gegend der Ölsardinen und Konservenbüchsen, ist ein Gestank und ein Gedicht, ein Knirschen und Knarren, ein Leuten und Tönen, eine schlechte Angewohntheit. […] Die Einwohner? Huren, Hurensöhne, Zuhälter, Vagabunden und Spieler, mit einem Wort: Menschen; man könnte mit gleichem Recht sagen: Heilige, Engel, Gläubige, Märtyrer.
John Steinbeck – Die Straße der Ölsardinen
Die Straße der Ölsardinen besteht aus 32 Kapiteln, die einen größeren Handlungsstrang haben, der immer wieder von einzelnen Episoden aus dem Alltag Montereys unterbrochen werden. Diese Erzählweise ergibt ein Porträt der Stadt und ihrer exzentrischen Bewohner. Allesamt sind sie nicht besonders reich, allesamt sind sie auf ihre eigene Weise Lebenskünstler.
Der Hauptstrang folgt Mack und seinen Kumpanen. Durch eine Mischung aus Verhandlungsgeschick und Erpressung sichern sie sich Wohnrecht in der Palace genannten Bruchbude von Lee Chong. Nach und nach entwickeln sie den Ehrgeiz, sich dort gemütlich einzurichten.
Wenn die Clique Geld braucht, verdienen sie es sich dadurch, dass sie Amphibien und ähnliches Getier an Doc verkaufen, der diese für seine Experimente benötigt. Doc lebt allein und man mag ihn einen Eigenbrötler nennen. Eines Tages beschließt Macks Clique, dass sie Doc gern eine Freude machen würden. Sie wollen für ihn eine Party geben.
Wir sind zu fünft! Wir werden fünfmal soviel trinken wie er, mindestens! Ich bin gar nicht sicher, ob wir die Party für Doc geben. Ich glaube eher, wir geben sie bloß für uns selber. Aber Doc ist ein viel zu netter Kerl, als daß man so etwas tun dürfte.
John Steinbeck – Die Straße der Ölsardinen
Die Truppe investiert einige Zeit in Geld und Vorbereitungen für die Feier. Doch in ihrem Übereifer schlägt der erste Versuch völlig fehl. Das Essen essen sie selbst und den Alkohol trinken sie selbst. Das Fest hätte in Docs Haus stattfinden sollen, dieses wird komplett verwüstet.
Dieses Ereignis soll ihnen eine Lehre sein. Mack und die anderen sammeln erneut Geld. Für den zweiten Versuch ist die komplette Stadt eingeladen, schließlich ist Doc bei jedem der Bewohner gern gesehen. Selbiger hat eine Vorahnung, dass da etwas im Busch ist.
Doc wußte nicht, wer und wie viele ihn heute besuchen würden; er wüßte nur eines: er wurde beobachtet; schon die ganzen letzten Tage hatte man auffallend unauffällig jeden seiner Schritte verfolgt. Es stand also eine Überraschungsparty bevor. Er war bereit, sich überraschen zu lassen und sich bis dahin so zu verhalten wie an irgendeinem beliebigen Tag.
John Steinbeck – Die Straße der Ölsardinen
Mein Fazit: Die unterhaltsame Geschichte einer Kleinstadt
Die Straße der Ölsardinen zählt zu der Sorte Bücher, die zwar nie als Highlight der Literaturgeschichte gelten werden, aber nichtsdestotrotz eine wunderbare Lektüre abgeben. Die Kürze, die episodenhafte Struktur und der lockere Erzählton voller Humor machen die Geschichte zu dem, was man als „snackable“ bezeichnen würde.
Als Leser können wir ganz wunderbar immer wieder ein paar Seiten lesen und sind dabei bestens unterhalten, denn wir müssen uns nicht erst wieder in einen komplizierten Gesamtkontext hineindenken, der dann möglicherweise auch noch mit ernsten Themen daherkommt. Einen guten, klaren Stil hat Steinbeck wie die meisten amerikanischen Autoren sowieso.
Das kleine Städtchen Monterey und seine Bewohner sind schrullig und eigen. Zur selben Zeit sind sie genau deshalb amüsant und voller Charme: Einen Blick in ihr Leben zu werfen ist, als würde man Urlaub an einem jener Orte machen, an denen die Welt sprichwörtlich „noch in Ordnung“ ist. In Montery dreht sich das Leben um sich selbst, das Außerhalb und große Probleme sind egal. Wir haben es mit einer Art kleinen Arbeiter-Idylle zu tun.
Kurz gesagt: Eine lockere feel-good Lektüre, mit der man gerne seine Zeit verbringt. Die Illustrationen von Philipp Waechter fallen für mich im positiven Sinn in die Kategorie schmuckes Beiwerk. Insgesamt ist die Aufmachung dieser Ausgabe ansprechend und hochwertig.
Der Autor: John Steinbeck
John Steinbeck (1902 – 1968) war ein amerikanischer Autor. Er verfasste unter anderem 16 Romane und zählte zu den populärsten amerikanischen Schriftstellern seiner Zeit. 1962 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Steinbecks Bücher wurden wegen „vulgärer Sprache“ mehrmals aus amerikanischen Bibliotheken verbannt. Seine Werke zeichnen sich durch ihren realistischen Stil aus. Häufige Bestandteile sind „einfache Leute“ oder generell Menschen vom Rand der Gesellschaft, soziale Fragen aber auch Humor.
Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):
- Früchte des Zorns
- Jenseits von Eden
Hallo lieber BuchBlogger,
herrlich, was es alles gibt! Habe gerade die Ölsardinen gelesen und bin begeistert. Fund im Bücherschrank , Taschenbuch von 1988. großartige Literatur, dieses Jahr endlich Moby Dick gelesen – Meilenstein Melville.
Dieses kleine Büchlein vom Steinbeck hat es in sich. Ein echter Menschenfreund – und Naturfreund. Empfehle als Ergänzung „ Alkohol und Autor“. Von Donald Goodwin. Man versteht danach so einiges.
Viele Grüße vom Deister und weiter so tolle Besprechungen.
Frank