Die Prämisse von John Steinbecks Früchte des Zorns klingt nach einem jener Romane, die das deutsche Feuilleton als „wichtiges Buch“ beschimpfen würde: Alteingesessene Familien werden vom technischen Fortschritt von ihrem Land vertrieben und müssen zusehen, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch glücklicherweise ist Steinbeck kein deutscher Feuilleton-Autor und so haben wir es mit einem Roman zu tun, der beeindruckende Bilder schafft.
Inhalt: Kalifornien oder Tod? Kalifornien und trotzdem Tod?
Familie Joad aus Oklahoma muss das Land verlassen, das sie seit vielen Jahrzehnten bewirtschaftet hat. Nach der Wirtschaftskrise zum Ende der 1920er Jahre und der Dürre der 1930er haben sie wie zahllose Landwirte einen Berg an Schulden. Die neuen Maschinen anschaffen, mit denen Großkonzerne mittlerweile die Felder bewirtschaften? Unvorstellbar. Ohne Geld können die Joads nicht einmal ihr altes Werkzeug ersetzen. Und weil das so ist, gehört ihr Land nun der Bank.
Die Joads brauchen Arbeit, sie brauchen Geld und sie brauchen ein neues Leben. Das amerikanische Sozialsystem bietet in solchen Fällen – besonders zu dieser Zeit – vorsichtig ausgedrückt nur wenig Unterstützung, sprich die Lage ist lebensbedrohlich. Den einzigen Ausweg versprechen Handzettel, die Anpreisen, dass es im fernen Kalifornien Jobs als Obstpflücker gibt.
Tod oder Kalifornien, dieses Motto gilt für tausende Familien, die das Schicksal der Joads teilen. Sie investieren ihre letzten Groschen in einen klapprigen Lastwagen und Vorräte für die Reise. Was von ihrem Hausrat noch übrig ist, packen sie ein. Eltern, Kinder, Großeltern, Onkel und ein befreundeter Prediger – sie alle gehen gemeinsam auf die Reise. Die Großeltern sind gebrechlich, die Tochter ist schwanger. Und alle Joads sind vom Verlust ihres alten Lebens gezeichnet.
Es sind Millionen von Wirtschaftsflüchtlingen, die nach Westen ziehen. Steinbeck wechselt die Geschichte der Joads ab mit einem Bild der allgemeinen Situation. Wartet in Kalifornien wirklich der Neuanfang? Gibt es für all diese Leute genug Jobs, Unterkünfte und Lebensmittel? Nein.
Die Männer standen an ihren Zäunen und blickten auf das verdorbene Korn, das jetzt rasch vertrocknete und unter der Staubschicht nur noch ganz wenig Grün sehen ließ. Die Männer schwiegen und bewegten sich nicht viel. Und die Frauen kamen aus den Häusern und stellten sich neben ihre Männer und versuchten zu spüren, ob diesmal die Männer zusammenbrechen würden. Die Frauen forschten heimlich in den Gesichtern der Männer, denn das Korn mochte verderben, solange noch etwas anderes blieb.
John Steinbeck – Früchte des Zorns
Meine Meinung zu Früchte des Zorns: Einfach gut – trotz der Gesellschaftspolitik
Steinbeck bringt hier alles das zur Meisterschaft, was „typisch amerikanische“ Klassiker so gut macht. Die Prämisse von Früchte des Zorns wäre bei den meisten deutschen Autoren zu einer moralinsauren Peitsche von einer Botschaft geworden. Steinbeck aber präsentiert es nicht nur in ausdrucksstarken Bildern, sondern auch so, dass die gesellschaftliche Botschaft nicht aufgezwungen wirkt. Großartig!
Natürlich könnte man als Autor die Geschichte der Joads und von alldem, das ihnen zustößt, an jeder Stelle mit einer Wertung versehen und immer wieder betonen, wie schlimm das alles ist – Aber dann würde man unweigerlich den Eindruck erwecken, seine Leser erziehen zu wollen. Steinbeck dagegen erzählt einfach die Geschichte, was die Botschaft umso kräftiger macht, denn das Schicksal der Joads birgt genügend Tragödien, um für sich selbst zu sprechen. Auf diese Weise entfaltete es seine Wirkung umso stärker.
Bücher mit einer gesellschaftspolitischen Komponente zählen nicht zu meiner üblichen Go-To-Lektüre, denn zu oft sind sie einfach nur ermüdend – was wohl schon mehrmals durchgeklungen ist. In Früchte des Zorns aber merkt man an jeder Stelle, dass hier ein Könner am Werk ist. Zu jedem Zeitpunkt hätte ich gesagt, dass dieser Roman einfach gut ist und wer kann sich schon dagegen wehren, Bücher zu lesen, die einfach gut sind?
Die Bilder, die Steinbeck zeichnet, sind von der Sorte, von denen man sich neiderfüllt noch etwas abschauen kann. Seine Dialoge und Figuren sind durch und durch lebendig. Und ich mochte auch den Wechsel zwischen Kapiteln, die die Geschichte der Joads erzählen und denen, die die allgemeine Entwiclkung beschreiben. Beide sind auf ihre Art voller Wirkungsmacht und unterstreichen, dass die Joads nur ein Beispiel für das Schicksal vieler Familien sind.
Oder kurz ausgedrückt: Super Buch, well done, John.
Der Autor: John Steinbeck
John Steinbeck (1902 – 1968) war ein amerikanischer Autor. Er verfasste unter anderem 16 Romane und zählte zu den populärsten amerikanischen Schriftstellern seiner Zeit. 1962 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Steinbecks Bücher wurden wegen „vulgärer Sprache“ mehrmals aus amerikanischen Bibliotheken verbannt. Seine Werke zeichnen sich durch ihren realistischen Stil aus. Häufige Bestandteile sind „einfache Leute“ oder generell Menschen vom Rand der Gesellschaft, soziale Fragen aber auch Humor.
Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):
- Jenseits von Eden
- Tortilla Flat
[…] Kapitel 7 […]
Hallo Florian,
schön, dass Du die »Früchte des Zorns« rezensiert hast. Ich finde, das ist ein Buch, das man wirklich gelesen haben sollte. In Deiner Rezension hast Du viele Punkte, mit denen ich übereinstimme.
Vielleicht noch als Ergänzung: Hintergrund ist eine der ersten ökologischen Katastrophen in den USA. In den Baumwoll-Anbaugebieten war durch fortgesetzte Monokultur der Boden so ausgelaugt, dass er in Jahren grosser Dürre einfach weg geweht wurde, so entstanden die »Dustbowls«. Und so wurden die einst selbständigen Farmer von ihrem Land, dass sie nicht mehr ernähren konnte, vertrieben.
Vielleicht hast Du auch Lust, bei mir mal reinzugucken, es ist noch in ein PDF gepackt, ich bin beim Umbau der Seite:
https://mittelhaus.com/wp-content/uploads/2019/07/gelesen-2019-07-im-juli.pdf
Auf Deinem Blog werde ich mich noch weiter umgucken.