Dieser Roman des Nobelpreisträgers Kazuo Ishiguro ist nicht nur bereits Nummer 13 meiner 100-Bücher-Liste, er hält auch einen ziemlich interessanten Fall eines unzuverlässigen Erzählers bereit.
Die Geschichte eines Mannes, der mehr Butler als Mensch ist.
Was vom Tage übrig blieb spielt irgendwann Mitte der 50er. Stevens, der Ich-Erzähler des Romans, ist der Butler des Herrenhauses Darlington Hall.
Der neue Besitzer des Hauses, der amerikanische Milliardär Farrady wird für einige Wochen in die USA reisen und ermutigt Stevens, die Zeit für einen Ausflug zu nutzen, damit Stevens auch einmal ein wenig herumkommt.
Der alte Butler von Darlington Hall
Stevens will die Reise nutzen, um eine frühere Haushälterin von Darlington Hall, Miss Kenton, aufzusuchen. Da momentan im Personal eine Stelle frei ist, hofft er, Miss Kenton zurückholen zu können.
Während der Reise hat Stevens viel Zeit um nachzudenken. Er erinnert sich an die Zeit unter dem alten Lord Darlington, an verschiedene Konferenzen mit Gästen von Weltrang, an den Tod seines Vaters und an verschiedene Gespräche mit Miss Kenton.
Im Mittelpunkt ist für Stevens immer seine eigene Philosophie was einen perfekten Butler ausmacht. Wie muss sich ein Butler verhalten, um als ein Butler „von Weltrang“ zu gelten?
Was für den Leser deutlicher wird als für Stevens: Der alte Butler ist komplett von seiner Rolle bestimmt. Sein ganzes Leben besteht daraus, ein möglichst perfekter Butler zu sein. Unbedingte Selbstkontrolle, Loyalität und Disziplin sind seine obersten Werte, alles Persönliche steht nicht nur hinten an, es wird komplett aufgegeben.
Aus diesem Grund gehört zu den Dingen, die Stevens ebenfalls nicht bemerkt, der Leser aber schon, dass Miss Kenton früher Interesse daran hatte, Stevens zu heiraten. Stevens‘ starres Verhalten und sein Festhalten an der Rolle als pflichtbewusster Butler hat sämtliche ihrer Avancen jedoch im Keim erstickt.
Am Ende der Reise treffen Stevens und Miss Kenton aufeinander.
Stevens: Ein unzuverlässiger Erzähler
Was vom Tage übrig blieb ist ein beeindruckend geschriebener Roman. Die Stimme und Werte des Ich-Erzählers Stevens treffen auf den Leser, der schnell bemerkt, dass Stevens‘ Blick auf die Welt äußerst ungewöhnlich und verzerrt ist.
Stevens‘ Selbstaufgabe und das starre Festhalten an seiner Rolle als Butler passen nicht zu unserem Weltbild als selbstständiges Individuum. Deshalb suchen wir ständig nach Unstimmigkeiten in Stevens‘ Bericht. Er wird für uns zum unzuverlässigen Erzähler.
Ishiguro hat mit Was vom Tage übrig blieb einen lesenswerten Roman geschaffen, dessen große Stärke in seinem beeindruckenden Erzählton liegt.
Ich sage mir jetzt außerdem, dass das Scherzen eine Aufgabe ist, deren Erfüllung ein Dienstherr durchaus von einem Butler erwarten kann.
Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrig blieb
Der Autor: Kazuo Ishiguro
Kazuo Ishiguro (*1954) ist ein britischer Autor mit japanischen Wurzeln. Seine Familie zog in seiner Kindheit von Japan nach England, wo er später Englisch, Philosophie und Literatur studierte. Bereits seine ersten Kurzgeschichten wurden veröffentlicht.
Seine Texte besitzen große emotionale Kraft und Tiefgang, was sie sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik beliebt macht. 2017 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Häufige Themen seiner Werke sind Moral, das Verhandeln von althergebrachten Hierarchien und Identitäten sowie innere Konflikte.
Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):
- Als wir Waisen waren
- Alles, was wir geben mussten
- Der begrabene Riese
Daten und Links zum Buch
- Titel: Was vom Tage übrig blieb
- Autor: Kazuo Ishiguro
- Originaltitel: The Remains of the Day
- Jahr: 1989
- Verlag: btb
- Seiten: 288
- Übersetzer: Hermann Stiehl
- Gewicht: 234 g
- ISBN: 9783453421608
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