Zeitreisen sind für den Beginn von Geschichten, die in historischen Welten spielen, ein gern genommenes Fressen. Mark Twains Yankee aus Connecticut macht da keine Ausnahme. Wenn zwei grundverschiedene Welten aufeinander prallen, entsteht eine Menge Potential für Konflikte – oder für Humor, so wie in diesem Fall. Mark Twain nimmt in seinem Roman Europa und das Mittelalter gewaltig auf die Schippe. Ausgerechnet ein Amerikaner muss den europäischen Barbaren Kultur und Zivilisation beibringen. Mit Kritik an der Unterdrückung der einfachen Leute wird dabei ebenfalls nicht gespart.
Der Inhalt: Ein Yankee aus Connecticut wird Hofmagier in Camelot
Weil die Geschichte so unglaublich ist, wird sie in eine Rahmenhandlung eingebettet. Auf Schloss Warwick, so der Erzähler, trifft er einen seltsamen Fremden, der vom 6. Jahrhundert berichtet als sei er selbst dabei gewesen. Für das Einschussloch auf einer der Ritterrüstungen, so der Fremde, sei er selbst verantwortlich. Abends treffen beide erneut und bei ein paar Drinks beginnt der Fremde seine Geschichte zu erzählen:
Er stellt sich als Hank Morgan vor. Sein Vater war Schmied, er selbst arbeitet in einer Fabrik für Schusswaffen. Ein echter Yankee aus dem Staat Connecticut also und wie viele seiner Genossen äußerst rauflustig. Bei einer Prügelei legt er sich mit dem falschen Gegner an. Er bekommt mit einer Eisenstange eines übergezogen. Als er benommen wieder aufwacht, findet er sich im England des 6. Jahrhunderts wieder.
Ein klassischer Trick – das Vorhersagen einer Sonnenfinsternis – rettet ihm vor der Hinrichtung und bringt ihm einen Ruf als mächtiger Zauberer ein. Schnell läuft er dem Hofzauberer Merlin den Rang ab. Fortan wird Merlin sein ärgster Rivale.
Am Hof des legendären König Artus wird unser Yankee, der sich nun Sir Boss nennen lässt, die rechte Hand des Königs. Als höchster Beamter im Staat versucht er, diesen auf den Weg in die Moderne zu führen. Sein Endziel ist es, aus der Monarchie eine demokratische Republik zu machen. Nebenbei baut er einen Geheimapparat auf, der ihn dabei unterstützen soll.
…war dies aber tatsächlich das 6. Jahrhundert, nun gut, billiger tat ich’s nicht: dann wollte ich innerhalb von drei Monaten das ganze Land befehligen, denn ich war der Meinung, ich sei dem gebildetsten Mann des Königreichs um dreizehn Jahrhunderte und noch mehr voraus.
Mark Twain – Ein Yankee aus Connecticut an König Artus‘ Hof
Dinge wie eine Zeitung oder Seife sollen nur der Anfang dabei sein, der Kirche die Macht abzugraben. Fahrende Ritter werden kurzerhand zu Hausierern für Seife umgeschult. Doch sein Projekt geht zäh voran, denn die Bevölkerung ist darauf getrimmt, an den gewohnten Sitten festzuhalten. Eine etablierte Weltanschauung ändert auch ein mächtiger Zauberer wie Sir Boss nicht von heute auf morgen.
Im Stil klassischer Rittergeschichten unternimmt Sir Boss zusammen mit seiner Begleiterin Sandy (eigentlich ja Demoiselle Alisande a la Carteloise, aber das ist zu kompliziert) eine Reise durch das ganze Land. Dabei trifft er auf viele der Figuren, die man aus eben jenen Rittersagen kennt.
Später unternimmt er zusammen mit König Artus höchstpersönlich eine weitere Reise. Weil beide dabei inkognito bleiben wollen, geben sie sich als einfache Bauern aus – was dem König nicht immer leicht fällt. Dabei kommt eines zum Vorschein: Die Gesellschaft des Mittelalters ist kein Zuckerschlecken.
Mein Fazit: Eine Überraschung mit gelungenen Gags
Der Roman war für mich eine positive Überraschung. Die Idee an sich war von vorneherein vielversprechend. Sie hat mich Geschichte erwarten lassen, die einfach zu verdauen ist und mit einer Menge Witz kommt. Doch gleich zu Beginn bin ich erst einmal auf Sätze von einer halben Seite Länge gestoßen und ich habe befürchtet, dass aus der lockeren Geschichte nichts wird.
Zum Glück habe ich das Buch nicht weggelegt. Denn sobald ich mich an die langen Sätze gewöhnt hatte, was glücklicherweise relativ schnell der Fall war, habe ich tatsächlich den kurzweiligen Roman bekommen, den ich wollte.
Der Kontrast des Yankee zur mittelalterlichen Gesellschaft verbindet sich mit dem typischen Kontrast „neues“ Amerika vs. „altes“ Europa, der im 19. Jahrhundert so oft ein Thema war. Beide zusammen bringen einige wunderbare Gags hervor. Die Idee, fahrende Ritter mit moderner Werbung zu verbinden, beispielsweise fand ich zum Brüllen.
Was die langen Sätze angeht, kann ich nicht sagen, ob Mark Twain auch im Original so geschrieben hat, oder ob es an der Übersetzung von Lore Krüger liegt. Eine Neuauflage mit einer überarbeiteten Übersetzung wäre toll, doch wahrscheinlich ist der Markt dafür wohl nicht groß genug.
Zugegeben, Ein Yankee aus Connecticut an König Artus‘ Hof ist kein Roman, dem ich den „Kann man nicht weglegen“-Stempel aufdrücken würde. Trotzdem ist er ein tolles Stück Unterhaltung, das auch heute noch funktioniert. Schaut es euch an.
Der Autor: Mark Twain
Mark Twain (1835 – 1910) war ein amerikanischer Autor. Der Name ist ein Pseudonym und stammt aus der Sprache der Schiffer auf dem Mississippi. Früh begann er als Reporter mit dem Schreiben. Er zog viele Jahre quer durch die USA ohne besonders viel Geld zu haben, bevor sich seine Situation schließlich stabilisierte.
1869 erschien sein erstes Tagebuch über eine Reise durch Europa. In den nächsten Jahren schrieb er seine bekanntesten Werke und feierte als Schriftsteller Erfolge. Häufige Bestandteile seiner Werke sind Lokalkolorit, Satire, der Alltagsrassismus und allgemeine gesellschaftliche Beobachtungen.
Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):
- Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn
- Bummel durch Europa
- Die schreckliche deutsche Sprache
Daten und Links zum Buch
- Titel: Ein Yankee aus Connecticut an König Artus‘ Hof
- Autor: Mark Twain
- Originaltitel: A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court
- Jahr: 1889
- Verlag: dtv
- Seiten: 396
- Übersetzerin: Lore Krüger
- Gewicht: 339 g
- ISBN: 9783423123938
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