Rudyard Kipling – Über Bord (illustrierte Ausgabe)
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Die optische Aufmachung dieser Aufgabe hatte Schuld, dass ich Über Bord von Rudyard Kipling überhaupt erst gelesen habe. Ich geben offen zu, dass ich von dem Roman zuvor noch nie gehört hatte. Das Dschungelbuch und Kim kennt man, doch dieses hier fliegt für gewöhnlich unter dem Radar. Aber als illustrierte Ausgabe, hochwertig gebunden und noch dazu mit dieser in den Umschlag eingeschobenen Landkarte? Unabhängig vom Inhalt musste das einfach her. Aber auch die Geschichte war die Überraschung wert.

Der Inhalt: Ein Bengel wird nass

Der 15 jährige Harvey Cheyne Jr. fällt von Bord eines Dampfers. Das Schiff ist von Amerika nach Europa unterwegs, als es in einen Sturm gerät. An Deck konnte Harvey tun was er wollte, denn seine Mutter verhätschelt ihn und sein Vater zählt zu den reichsten Männern Amerikas. Bei der Mannschaft war der verzogene Bengel deshalb nicht sehr beliebt, doch jetzt geht es um sein Leben.

„Bah! Der ist doch eigentlich ganz harmlos. Hat mehr Mitleid verdient als sonst was“, sagte ein Mann aus New York, lang ausgestreckt auf den Kissen unterm nassen Oberlicht. „Den hat man doch von Hotel zu Hotel geschleppt, seit er ganz klein war. Ich hab mich heute früh mit seiner Mutter unterhalten. Sehr liebe Frau, aber mit dem Jungen wird sie nicht wirklich fertig. Der soll jetzt nach Europa, seine Erziehung beenden.“

Rudyard Kipling – Über Bord

Harvey hat Glück im Unglück. Ein Fischer aus der Mannschaft von Disko Troop zieht ihn aus dem Meer. Harvey versucht das naheliegende, er verspricht den Fischern eine dicke Belohnung, wenn sie ihn nur zu seinen Eltern brächten – Doch wer soll schon glauben, dass der Junge, den man gerade aus dem Wasser gezogen hat, zufällig der Erbe von mehreren Millionen ist?

Der Deal, den Disko Troop Harvey anbietet, ist ein ganz anderer: Er kann auf dem Schoner bleiben und Mitglied der Mannschaft werden. Der Junge bekommt seinen Lohn, wie jeder andere aus der Crew, doch dafür muss er hart arbeiten. Sein Leben lang musste Harvey noch nicht arbeiten, doch was bleibt ihm in dieser Situation anderes übrig?

„Also, mein Vater ist das, was man Multimillionär nennt; und er hat zwei Privatwaggons. Einer ist anch mir benannt, Harvey, und einer nach meiner Mutter, Constance.“
„Langsam“, sagte Dan. „Dad erlaubt nich, dass ich fluch, aber ich glaub, du brings mich dazu. Eh dass wir weitermachen, will ich, dasste sags, du wills tot umfallen, wenn du lügs.“

Rudyard Kipling – Über Bord

Was folgt ist eine typische growing-up-Geschichte. Harvey sieht jeden Tag, wie hart die Männer für ihr Überleben und das ihrer Familie arbeiten. Disko Troop ist hart zu ihm. Auch wenn wer keine Erfahrung hat, muss Harvey dasselbe leisten wie jeder andere.

Und auch dass der Tod zu jeder Zeit nah ist, wird ihm klar vor Augen geführt. Die Erfahrung bei Disko Troop macht aus ihm einen anderen: Vom verweichlichten Muttersöhnchen wird Harvey zum ernsthaften Mann.

„Is’n guter Junge un packt gut mit an, wie man’s ihm sagt. Wissen Se schon, wie wir den gefunden ham? Hatte wohl ’nen Nervenzusammenbruch, schätz ich, oder muss sich irgendwie den Kopp gehauen ham, eh dass wir ihn an Bord ziehen. Da isser jetz aber ganz darüber weg.“

Rudyard Kipling – Über Bord

Als die Fischfangsaison vorbei ist, kehrt die Fischerflotte in ihre Heimatstadt zurück. Nun hat Harvey endlich die Gelegenheit, ein Telegramm an seine Eltern zu senden, die ihn schon für ertrunken glaubten. Sofort machen sie sich auf den Weg. Als sie sehen, was aus dem Jungen geworden ist, reagieren Vater und Mutter höchst unterschiedlich.

Mein Fazit: Der Roman ist wie Harvey – Der Schwung kommt mit der Zeit

Während der ersten Hälfte hielt ich das Buch noch für zäh und beinahe ermüdend. Die zweite Hälfte von Über Bord dagegen fand ich ganz fantastisch. Das bringt uns automatisch zur bekannten Frage: Woran hat et jelegen?

Eines der Mittel, mit denen Kipling die unterschiedlichen Lebenswelten der Figuren im Roman sichtbar macht, ist deren Sprache. Die Ausdrucksweise von Harvey entspricht ganz der des Sohns einer Millionärsfamilie: Er spricht akzentfrei und gebildet. Ganz anders dagegen die Fischer und Matrosen. Bei ihnen finden wir viel Dialekt und Fachjargon. Das kann etwas mühselig sein und ich als Leser musste mich darauf erst einstellen. Hut ab, dass er die beiden Welten auf diese Weise sichtbar macht. Teilweise übertreibt es Kipling meiner Meinung nach auch ein wenig mit Details aus dem Alltag der Fischer.

Die zweite Hälfte dagegen, die Wiedervereinigung von Harvey mit seinem Vater, macht es den ersten Teil wert. Der glückliche Vater bekommt seinen Sohn zurück, bei dem es noch dazu endlich Klick gemacht hat – es ist beinahe ein wenig zu viel Schmalz und man kann dabei fast ins Schmachten kommen, aber am Ende ist es einfach gut. Genau dieses Ende wollten wir die ganze Zeit haben! Und wegen diesem Happy End lässt uns Über Bord mit einem wunderbaren Gefühl der Befriedigung zurück.

Die Illustrationen von Christian Schneider sind nicht spektakulär, doch der Stil passt genau zur Geschichte. Die Farbtöne sind kühl und etwas karg. Damit spiegeln sie den harten Alltag der Fischer und genau das ergibt meiner Meinung nach ein rundes Gesamtbild. Dazu kommt bei meiner Ausgabe die einzigartige Gestaltung mit der in den Umschlag eingeschobenen Landkarte.

Der Autor: Rudyard Kipling

Rudyard Kipling  (John Palmer, public domain, Wikimedia Commons)
Rudyard Kipling
(John Palmer, public domain, Wikimedia Commons)

Rudyard Kipling (1865 – 1936) war ein britischer Autor. Er wurde in Bombay geboren, mit fünf Jahren aber nach England gebracht. Mit 16 kehrte er nach Indien zurück, wo er als Journalist arbeitete und nach und nach ganz Indien bereiste. Ab 1889 lebte er jedoch wieder in England.

Um die Jahrhundertwende war er einer der populärsten englischen Schriftsteller. Bis heute ist er mit damals 41 Jahren der jüngste Träger des Nobelpreis für Literatur. Er ist vor allem als Autor von Kinder- und Jugendbüchern bekannt. Häufige Themen seiner Werke sind Indien oder der britische Imperialismus.

Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):

  • Der Mann, der König sein wollte

Daten und Links zum Buch

  • Titel: Über Bord
  • Autor: Rudyard Kipling
  • Originaltitel: Captains Courageous
  • Jahr: 1897
  • Verlag: Büchergilde Gutenberg
  • Seiten: 309
  • Übersetzer: Gisbert Haefs
  • Illustrator: Christian Schneider
  • Gewicht: 551 g
  • ISBN: 9783864060601

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Kommentare

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  1. Danke für den Tipp, die Büchergilde hat zwar immer wieder schöne Bücher im Programm, bisher konnte ich mich aber nicht zu einem Abonnement durchringen. Über Bord scheint ganz meinen Geschmack zu treffen und die Kombination aus einem illustrierten hochwertigen Band und den Seefahrer-Motiven bilden zumindest eine gute Grundlage. Ich bin auch gespannt wie ich die zwei Teile des Buches bewerten werde, gerade der erste Teil des Buches weckt mein Interesse und so lange die Fischerei nicht a la Melville seziert wird sollte ich damit klar kommen.

    • Für ein Abo könnte ich mich auch nicht begeistern, da bin ich ganz ehrlich. Ich habe das Glück, hier einen Buchladen zu haben, der viele Restexemplare der Büchergilde verkauft. Der hat zwar nicht die volle Auswahl, aber immer wieder was gutes dabei. Und ansonsten findet man ja auch viel auf ebay, amazon oder bei diversen Gebrauchthändlern.

      Ein Fischerei-Lehrbuch ist der Roman zum Glück nicht, da kannst du ganz beruhigt rangehen. Ich finde ihn auf jeden Fall lesenswert und ich bin mir sicher, dass du deinen Spaß damit haben kannst. Interessant wäre sicher auch das englische Original, da Kipling hier sehr viel Dialekt bzw. Soziolekt einbaut, was ja in den meisten Fällen nur schwer 1:1 übersetzt werden kann.

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