Was Patrick Rothfuss oder George R.R. Martin können, das kann Walter Moers selbstverständlich auch! Ich spreche natürlich davon, eine Reihe erst zu beginnen und seine Leser dann jahrelang auf das Ende warten zu lassen. Das Labyrinth der träumenden Bücher ist der zweite Teil der Buchhaim-Trilogie – falls es denn je wirklich eine wird. Und wie diese Zeilen schon verraten, muss man über das Ende sprechen, wenn man über diesen Roman spricht. Kann man das Buch trotzdem ruhigen Gewissens in die Hand nehmen?
Info: Falls du dich fragst, in welcher Reihenfolge man die Zamonien-Romane lesen sollte, schau dir diesen Beitrag an.
„Sorry, Leute, das Buch ist länger als erwartet und generell nicht fertig geworden, ich hatte aber vom Verlag die Deadline, etwas zu veröffentlichen.“ So etwa kann man das Nachwort zusammenfassen.
Das war zuvor nicht angekündigt und hat viele Leser kalt überrascht. Die Kritiken zeigen das mehr als deutlich. Bis dahin schwamm Moers mit seinen Zamonien-Romanen auf einer Erfolgswelle und nun schien es, als würde er gegen eine Klippe prallen. Doch werfen wir mit einigen Jahren Abstand einen neuen Blick auf das Buch.
Inhalt: Mythenmetz zurück in Buchhaim
Die letzten 200 Jahre hat Hildegunst von Mythenmetz mit seinen Bestsellern den zamonischen Literaturmarkt dominiert. Verkaufszahlen, Preise, Verehrerbriefe – in jedem Bereich sind seine Zahlen auf Rekordhöhe. Doch nun geht nichts mehr. Hildegunst von Mythenmetz ist in der Sinnkrise.
Je mehr seine Erfolgskurve nach oben zeigt, umso schlechter wurde leider auch die Qualität seiner Bücher. Es scheint, als hätte er das Orm verloren.
Damit diese Erkenntnis auch beim überheblichen Mythenmetz selbst ankommt, dazu braucht es allerdings erst einen mysteriösen Brief aus Buchhaim. Dieser Brief kopiert den Stil des Autors mit all seinen Schwächen perfekt und endet für den Lindwurm im Zusammenbruch: Er schreibt nur noch Mist!
Was also tun? So kann es nicht weitergehen. Wie schon 200 Jahre zuvor sucht Mythenmetz die Antwort in Buchhaim und entschließt sich zu einer längeren Reise, um den Verfasser des Briefs zu finden. Der Absender auf dem Umschlag: Hildegunst von Mythenmetz, Lederne Grotte, Buchhaim.
Moers-Lesern fällt spätestens an dieser Stelle auf: „Moment, das hab ich doch alles schon mal gelesen.“ Und ja, tatsächlich hat der Beginn des Labyrinths der träumenden Bücher überdeutliche Parallelen zur Stadt der träumenden Bücher. Man könnte sogar sagen, dass Moers sich selbst kopiert. Tatsächlich zieht sich dieser Gedanke durch den kompletten Roman.
Mythenmetz, so viel sei verraten, trifft in Buchhaim seine alten Freunde, die Schreckse Inazea Anazazi und den Eydeeten Hachmed ben Kibizier.
In der Stadt selbst fühlt er sich zunächst genauso fremd, wie bei seinem ersten Besuch, den Buchhaim hat sich grundlegend verändert. Er muss erkennen, dass er als Autor wie früher wieder nichts mehr gilt. Die Qualität seiner Werke hat ihn zur Lachnummer werden lassen.
Schließlich ist da auch noch die neue Kunstform des Puppetismus. Diese Spielart des Marionettentheaters hat sich in den letzten 200 Jahren zur populärsten Veranstaltungsform der Stadt erhoben.
Mythenmetz ist zunächst mehr als skeptisch und trauert der Buchkultur und den Lesungen nach, die dadurch an den Rand gedrängt wurden. Aber einmal angefixt wird er zum glühenden Puppetismus-Fanatiker. Die neue Kunst bringt seine Ideenschmiede wieder in Schwung. Doch wie könnte es anders sein, im Puppetismus liegt nicht nur Inspiration, sondern auch ein Berg an Gefahren.
Mein Fazit: Weniger enttäsuchend als man zunächst denkt
Als ich das Buch im Jahr 2011 kurz nach Erscheinen zum ersten Mal gelesen habe, ging es mir wie so vielen Lesern: Ich war ernüchtert. Das soll tatsächlich der Nachfolger vom großartigen Die Stadt der träumenden Bücher sein? Dass der Roman so plötzlich abbricht, hatte ich genauso wenig erwartet wie jeder andere Leser. Schließlich war es zuvor nicht angekündigt.
Dazu wirkten große Teile des Buchs wie eine relativ faule Nacherzählung des ersten Teils. Was sollte das, das man mehr oder weniger dasselbe noch einmal erzählt bekommt, ja die komplette Handlungsmotivation beinahe eine Kopie ist? Mussten schnell noch ein paar Seiten her oder mehr dahinter? Es blieb die Hoffnung darauf, dass ein famoser dritter Teil dieses Rätsel auflösen würde.
Knapp zehn Jahre später steht Teil drei nur leider noch immer in den Sternen. Dennoch habe ich Das Labyrinth der träumenden Bücher im Rahmen meiner Masterarbeit nochmal aus dem Regal geholt. Zumindest ein wenig habe ich mich dabei mit den Buch ausgesöhnt. Es ist nicht so schlecht und langweilig, wie ich es in Erinnerung hatte.
Ja, die Handlung ist zum großen Teil eine Wiederholung. Doch innerhalb dieser Wiederholung steckt genug Variation und Kreativität, die man genießen kann. Zamonien, insbesondere Buchhaim, wird um einige neue Facetten und Skurrilitäten reicher.
Mittlerweile kann ich all das aber zumindest als Kunstgriff betrachten. Es ist das Hauptmerkmals eines jeden einzelnen Zamonien-Romans, dass er en masse Anspielungen auf Werke, Personen und Epochen der Literaturgeschichte enthält. Das Stichwort lautet Intertextualität.
Im Schrecksenmeister zum Beispiel erneuert Moers eine alte Novelle von Gottfried Keller. Vielleicht wollte er genau dieses Spiel diesmal ein Stück weit auf sich selbst anwenden, passend eingebettet in die Geschichte eines Schriftstellers in einer Sinnkrise, der sich ebenfalls selbst erneuern will.
Ich bleibe also dabei, dass Das Labyrinth der träumenden Bücher nicht so viel Spaß macht wie die vorherigen Bände der Reihe. Doch das Buch ist besser als sein Ruf. Und ein ganz kleines bisschen Hoffnung auf den dritten Teil habe ich noch immer.
Der Autor: Walter Moers
Walter Moers (*1957) ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Er begann als Comic-Zeichner und ist der Erfinder von Käpt’n Blaubär. Walter Moers tritt seit Jahren nicht öffentlich auf und es gibt keine Bilder von ihm. Auch deshalb wird seine Figur Hildegunst von Mythenmetz mittlerweile oft als „Ersatz“ zu Marketingzwecken benutzt.
1999 veröffentlichte er den ersten Teil seiner Zamonien-Reihe. Seine Bücher sind durch ihre besondere Machart nicht eindeutig einem bestimmten Genre zuordenbar. Das Etikett „Fantasy“ passt nur zum Teil und wäre irreführend. Häufige Bestandteile seiner Werke sind Metafiktion, Intertextualität, Parodie und die Literatur bzw. der Literaturbetrieb.
Website: www.zamonien.de
Verschiedene Titel des Autors (Auswahl):
- Rumo & Die Wunder im Dunkeln
Daten und Links zum Buch
- Titel: Das Labyrinth der träumenden Bücher
- Autor: Walter Moers
- Jahr: 2011
- Verlag: Knaus
- Seiten: 432
- Illustrator: Walter Moers
- Gewicht: 954 g
- ISBN: 9783813503937
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